1980-1999 Die 80er und 90er Jahre

Uwe Timm
© Isolde Ohlbaum

Die 80er Jahre

Während die Taschenbuch-Verlage kräftig expandieren, beginnen die achtziger Jahre für viele Hardcover-Verlage aufgrund stagnierender Umsätze mit einer Krise. Einschneidende Veränderungen werden aber nicht nur den Hardcover-Verlagen, sondern der gesamten Verlagslandschaft prophezeit: Nur die großen Verlagskonzerne oder die ganz kleinen Zwei-Personen-Betriebe ohne aufwendigen Apparat würden überleben, heißt es, während sich Verlage mittlerer Größe, zu denen auch Kiepenheuer & Witsch gehört, nicht in einem harten Verdrängungswettbewerb amerikanischen Stils behaupten könnten.

Diese Prognosen bestätigten sich vorerst nicht. Zwar nimmt der Konkurrenzkampf an Härte zu, aber mittelgroße konzernunabhängige Verlage wie eben auch Kiepenheuer & Witsch bleiben für Schriftsteller attraktiv. Zwischen 1980 und 1990 kann der Verlag sein literarisches Programm noch einmal deutlich ausweiten und eine Vielzahl namhafter Autoren dazu gewinnen: In rascher Folge bereichern die Romane und Erzählungen von Keto von Waberer (ab 1983), John le Carré (ab 1983), Uwe Timm (ab 1984), Michael Schneider (ab 1984), Don DeLillo (ab 1987), J.M.G. Le Clézio (ab 1987), Katja Lange-Müller (ab 1988), Joachim Sartorius (ab 1988), Michael Chabon (ab 1988), Herbert Rosendorfer (ab 1989) und Renate Feyl (ab 1989) das Programm.

Vielfalt bestimmt die literarische Dimension von Kiepenheuer & Witsch.

Im Jahr 1983 erscheinen die Bitteren Pillen, ein unabhängiger, kritischer Medikamentenratgeber, der nicht nur für Aufruhr in der Pharmaindustrie sorgt, sondern auch jahrelang auf den Bestsellerlisten steht. Die Gesamtauflage der Bittteren Pillen liegt mittlerweile bei über 2,5 Millionen Exemplaren.

Der Erfolg eines so kritischen Ratgebers wie die Bitteren Pillen wird durch andere Veröffentlichungen vorbereitet. So erscheint 1981 der von derselben Autorengruppe verfasste Band Gesunde Geschäfte – Die Praktiken der Pharmaindustrie. Die mächtigen Medikamenten-Hersteller zu attackieren ist riskant. Aber es bleibt bei Drohgebärden der Konzern-Juristen; die Darstellungen und Bewertungen der Autoren sind nicht zu widerlegen.

Der Erfolg der Bitteren Pillen ermutigt den Verlag, das Kursbuch Gesundheit zu entwickeln, ein alle medizinischen Bereiche umfassendes Standardwerk, das als bester Ratgeber seiner Art ausgezeichnet wird.

Die KIWI-Taschenbuchreihe

Aus der Erkenntnis, dass der Verlag eine Veröffentlichungsform braucht, die in Ausstattung und Ladenpreis den Wünschen jüngerer Leser entspricht, wird 1982 die Paperback-Reihe KiWi gestartet. Ein Vogel, fast ausgestorben und flügellahm, wird zunächst ihr Wappentier.

Klein, aber fein, hebt sie sich von den massenhaft produzierenden Taschenbuchverlagen ab und …hat Erfolg!

Lang ist die Liste der Autoren, die das Profil der Reihe prägen. In ihr stehen Werke von Joseph Roth und Erich Maria Remarque neben Lesestoff für jüngere Leser, darunter so große Erfolge wie die Bücher von Benjamin Lebert, Benjamin von Stuckrad-Barre , Nick McDonell , Helge Schneider, Irvine Welsh, Nick Hornby, Harald Schmidt oder Mian Mian.

2001 wird die Reihe typographisch neu gestaltet und die Zahl der Neuerscheinungen pro Jahr auf ca. 50 erhöht.

Die durchnummerierte KiWi-Taschenbuchreihe hat bereits 2007 ein Jubiläum zu feiern: Mit der Anthologie Pop – Seit 1964 erscheint das KiWi Nr. 1000.

KiWi 1000: Pop - Seit 1964 >

Pop und Perestroika

Die kulturelle Aufbruchstimmung, die Anfang der 80er Jahre in der bildenden Kunst ebenso wie in der populären Musik (Punk, Neue Deutsche Welle) herrscht, bringt eine neue Art von Underground- bzw. Pop-Literatur hervor, die wiederum an die Gegenkultur der 60er Jahre (Andy Warhol/ Rolf Dieter Brinkmann) anknüpft.

Mit den Büchern von Peter Glaser, Diedrich Diederichsen, Julie Burchill, Tama Janowitz, Joachim Lottmann, aber auch Bret Easton Ellis (American Psycho) ist Kiepenheuer & Witsch hier stilbildend.

Das schon erwähnte KiWi Nr. 1000 Pop – Seit 1964 (2007) ist die erste Anthologie zum Thema Pop und Literatur, und schlägt einen Bogen von den 60er Jahren über die 80er Jahre bis in die Gegenwart.

Neben den Themen der Pop-Literatur findet das Thema Widerstand und Reform kurz vor dem Zusammenbruch des »Ostblocks« seinen Niederschlag im Programm der 80er Jahre von Kiepenheuer & Witsch. Es erscheinen zahlreiche Bücher aus der zerfallenden DDR und der Perestroika-Sowjetunion von Autoren wie Landolf Scherzer, Gabriele Eckart, Elke Erb, Anatolij Rybakov und Michail Schatrow.

Der Verlag ergänzt sein Programm 1987 und 1989 durch zwei Reihen zur Kunst der Gegenwart. Kunst in Köln ist der erste Band des auf etwa zehn Städteführer zur zeitgenössischen Kunst angelegten Projekts.

Die andere Reihe mit dem Titel Kunst heute bringt Bände, in denen zeitgenössische Künstler, wie Joseph Beuys und Georg Baselitz, Robert Rauschenberg und Markus Lüpertz, sich in intensiven Gesprächen über ihre Arbeit, ihre Ideen und Entwicklungen äußern.

Porträt des ehemaligen Verlegers des Kiwi-Verlags Helge Malchow
© Melanie Grande

Die 90er Jahre

In den neunziger Jahren verändern sich die Strukturen des deutschen Buchhandels grundlegend (Monopolisierung) und stellen die Verleger vor besondere Herausforderungen. Einige Verlage glauben, ihre Marktstellung dadurch behaupten zu können, dass sie mehr und mehr Bücher produzieren, andere Verlage schaffen neue Imprints in der Hoffnung, Konkurrenten verdrängen zu können.

Kiepenheuer & Witsch beteiligt sich nicht an der massiven Steigerung der Bücherproduktion, die von Buchhandel und Zeitungsfeuilletons als »Über-Produktion« oder »Bücherflut« beklagt wird, und bei der oftmals die Entwicklung der Qualität nicht mit der Entwicklung der Quantität mithalten kann. Statt der Devise »mehr Titel« strafft und schärft der Verlag stetig sein Programmprofil, selektiert bei der Annahme neuer Titel kritischer und behutsamer, und gewinnt gleichzeitig neue, profilbildende Autoren hinzu. Auch Lizenzen der Kiepenheuer & Witsch-Bücher sind sehr gefragt, sie werden vorabgedruckt, verfilmt und weltweit in andere Sprachen übersetzt.

Eine Kooperation mit der Verlagsgruppe von Holtzbrinck, die eine Minderheitsbeteiligung erwirbt, stärkt die Stellung von Kiepenheuer & Witsch zusätzlich.

So gelingt es, dass auch die neunziger Jahre für den Verlag eine Phase stetigen Wachstums werden, obwohl bei Kiepenheuer & Witsch die Zahl der pro Jahr erscheinenden Titel in etwa gleich bleibt.

Der Autorenverlag

Maßgeblichen Einfluss auf diesen Erfolg hat Helge Malchow, der Anfang der neunziger Jahre Cheflektor wird und von 2001 bis Ende 2018 Verleger von Kiepenheuer & Witsch war. Ebenfalls großen Anteil am Erfolg haben die neuen Lektoren Kerstin Gleba (seit 1995) und Lutz Dursthoff (seit 1997), die beide seit Anfang 2001 als Programmleiter fungieren, Kerstin Gleba für Belletristik und Lutz Dursthoff für Sachbuch.

Seit seiner Gründung ist der Verlag immer darum bemüht, ein echtes Vertrauensverhältnis zu seinen Autoren aufzubauen – als Basis für eine enge, auf Dauer angelegte, kreative Zusammenarbeit. Offensichtlich überzeugend: Nicht nur, weil schon früh Schriftsteller wie Heinrich Böll, Saul Bellow, Nathalie Sarraute, Uwe Timm, Don DeLillo, Peter Härtling und Gabriel García Márquez ihr gesamtes Werk dem Verlag Kiepenheuer & Witsch anvertrauen. Auch weil selbst in den schwierigen neunziger Jahren zahlreiche bedeutende Schriftsteller – sowohl deutschsprachige als auch internationale – neu gewonnen werden können, die seitdem zum festen Autorenstamm von Kiepenheuer & Witsch gehören.

Neue Impulse erhält das Programm u.a. mit Autoren wie John Banville, Hansjörg Schertenleib, Emine Sevgi Özdamar, Alois Hotschnig und Lilian Faschinger, Daniel Pennac und Noëlle Châtelet, Erik Fosnes Hansen, Nick Hornby, Julian Barnes, Renate Feyl, E.L. Doctorow, Irvin Welsh und Elena Lappin, Jens Sparschuh, Anne Duden und Schriftstellern einer neuen Generation wie Christian Kracht, Bret Easton Ellis, Elke Naters, Kathrin Schmidt, Maxim Biller, Michael Kumpfmüller, Benjamin Lebert oder der chinesichen Autorin Mian Mian.

Auch Publikumslieblinge wie Mario Adorf, Renan Demirkan und Peter Ustinov schreiben für Kiepenheuer & Witsch. Für Biografien und politische Bücher stehen Ralph Giordano, Heiner Müllers Autobiografie Krieg ohne Schlacht (1992), Peter Zadeks Autobiografie My Way (1998), Franca Magnani, Alice Schwarzer, Joschka Fischer und Christoph Schlingensief.

Kabarett, Comedy und KiWi Köln

Sehr erfolgreich innerhalb der KiWi-Reihe sind Bücher von Kabarettisten wie Richard Rogler, Jürgen Becker, Herbert Knebel, Rüdiger Hoffmann und insbesondere Helge Schneider und Harald Schmidt. Auch sie gehören mittlerweile zum festen Autorenstamm von Kiepenheuer & Witsch.

Humorvolle Sachbücher >

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Außerdem erweist sich eine Reihe von Titeln mit Bezug zur Stadt Köln oder der Region als so erfolgreich (Autoren sind unter anderem BAP-Sänger Wolfgang Niedecken oder der Kölner Autor Martin Stankowski), dass daraus das eigenständige Programmsegment KiWi-Köln hervorgeht.

Alle Bücher über oder mit der Handlung in Köln >

 

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